TRIO BASSO - Von Ortiz bis Bach

Kritik aus dem Kulturbüro Göttingen:

 

Tiefenrausch oder Unerhörtes für die Götter

SAITENWECHSEL mit zwei Bässen

 

Bjørn Steinhoff

13. Juni 2018

 

Hätte der gute Orpheus Kontrabass statt Laute gespielt – wer weiß, ob die Rettung seiner Gemahlin Eurydike aus dem Hades nicht glücklich abgelaufen wäre. Bei den Transportproblemen, die das sperrige Instrument bietet, blickt sich keiner freiwillig um.

 

Auf solche Assoziationen zu verfallen ist im Parthenonsaal, 2. Stock linkerhand in der Sammlung der Gipsabdrücke des Archäologischen Instituts der Universität, kein Kunststück. Die versunkene Welt der griechischen Antike steht hier in berückender Schönheit en masse im Raume herum.

 

Aber das dürften auch die Götter, die unsterblichen, noch nicht erlebt haben! Ein Konzert für zwei Kontrabässe und Theorbe bzw. Barockgitarre. Etliche Sterbliche jedenfalls müssen von der Ankündigung gefesselt worden sein – trotz hochsommerlicher Wärme sind fast alle Sätze im Saal besetzt. In den folgenden gut 80 Minuten werden weder Hitze noch das studentische Filmteam, welches seinen Beitrag mit ein wenig mehr Rücksicht den Musikern gegenüber hätte drehen können, die Hörerinnen und Hörer vom Zauber der Musik in der Tiefe ablenken können.

 

Andreas Düker (Gründer und Antreiber der seit Februar 2015 existierenden Reihe SAITENWECHSEL) hat sich mit Takanari Koyama und Holger Michalski das komplette erste Kontrabasspult des GSO zur Verstärkung eingeladen. Die Drei reisen mit uns durch 200 Jahre ‚Musik für tiefe Instrumente’ - die Stationen dabei lauten Ortiz, Frescobaldi, Gabrielli, Eccles, Bach, Boccherini.

 

Mit dem Renaissancekomponisten Diego Ortiz (ca. 1510-1570) wird zum ersten Male in der Geschichte Literatur für ein Bassinstrument nachweisbar. Der Kontrabass allerdings wurde dort nicht behandelt, sondern die Viola da Gamba; von der Tonlage dem Cello zu vergleichen. Doch darf mit einigem Recht für Kontrabass bearbeitet werden – schließlich ist dieser das einzige der heute üblicherweise verwendeten Streichinstrumente, welches ein Gambennachfahre ist. Die Violinen bilden eine eigene Gruppe.

 

Ferner gehört ‚bearbeiten’ für Bassisten ohnehin zur ständigen Übung – allzu lange wurde das Instrument, so selbstverständlich es das Fundament aller Ensembles bildet, im Bereich Solo- und Kammermusik stiefmütterlich behandelt. Erst das 20. Jahrhundert schuf Abhilfe.

 

Die sechs „Recercada“ also haben die drei Musiker eigenhändig für ihre Besetzung angepasst. Den Gambenpart übernehmen die Bässe, den Generalbass/Basso continuo führt Andreas Düker an der Theorbe aus. Auch letzteres ist unproblematisch: Für mehr als 250 Jahre waren Vorschriften, welche Instrumente denn nun den Generalbass auszuführen hätten, eher die Ausnahme als die Regel. Im Allgemeinen benötigt man ein Harmonieinstrument (für die Akkorde) und ein Melodieinstrument in Tenor-/Bass-/Subbasslage. So ist von Cello/Orgelpositiv bis zu Fagott/Theorbe/Violone etc. jedwede Kombination möglich. Bei der Sonate von Henry Eccles, später am Nachmittag, z.B. übernimmt ein Kontrabass die Solostimme (ursprünglich für Violine), während Bass 2 den tiefen und die Theorbe den hohen Teil des Generalbasses übernehmen (üblicherweise ein Cembalopart).

 

Für die Freunde der Tiefe ist es also ein höchst vergnüglicher Nachmittag! Aber der Applaus, die aufgeschnappten Gesprächsfetzen aus dem Publikum lassen vermuten, dass auch die anfangs Skeptischen zu Fans der Tiefe geworden sind. - Zwei wichtige Kleinigkeiten lockern dabei das Klangbild wunderbar auf: Theorbe bzw. Barockgitarre verstärkt Andreas Düker sehr, sehr dezent auf elektronischem Wege, um sich gegen die zwei Kontrabässe in dem recht großen Saal durchzusetzen. So aufmerksam, so liebevoll miteinander musiziert wird, hätte das kaum notgetan, aber es erlaubt den GSO-Gästen an den passenden Stellen einmal ordentlich „Gas zu geben“. Detail Nummer zwei ist die Stimmung: nicht die im Saal, sondern die des einen Basses. Takanari Koyama hat durch Umsaiten und –stimmen sein Instrument fünf Töne über die sonst übliche Stimmung, wie Holger Michalski sie spielt, gebracht. Das ist fast Cellolage, doch der charakteristische Kontrabassklang ist natürlich noch da.

 

Und so bleibt auch das Staunen im Publikum - sicherer Begleiter eines jeden Auftritts bei welchem der Bass aus seiner üblichen Rolle tritt – das Staunen über die Möglichkeiten, die dieses riesige Instrument bietet. Wenn man’s kann, natürlich. Aber die beiden können. (Beruhigend für jeden selbst am Bass oder sonst einem Instrument Tätigen, auch wenn man’s kann, gelingt nicht alles perfekt.)

 

Sehr kollegial sind die Soloparts verteilt, Jeder der drei Musiker erhält Gelegenheit sich unbegleitet zu präsentieren; es gibt die Kombination Bass und Theorbe, zwei Bässe und zwei Bässe & Theorbe. Auch die Oberstimme (=Solostimme) wird gütlich zwischen den GSO-Kollegen aufgeteilt. Die Eccles-Sonate gehört Holger Michalski, während die abschließende Boccherini-Sonate, eigentlich für Cello gedacht, Takanari Koyama übernimmt. Zuvor sind beim Frescobaldi beide Kontrabässe Oberstimme.

 

Bei den vier Werken D. Gabriellis gibt es den einzigen – unmusikalischen - Kritikpunkt: Die sonst souveräne, mit interessanten Details unterfütterte Moderation hätte hier ordnender eingreifen dürfen. Ein Teil des Publikums verlor kurz den Überblick, wo man denn gerade im Programmverlauf ist…

 

Rhythmussicherheit dürfen wir von Bassisten naturgemäß erwarten – und werden nicht enttäuscht. Boccherini und besonders Ortiz profitieren von der äußerst munteren, zugleich präzisen Führung der Fundamentstimme. Die Musik aus der Renaissance lässt die dröhnende metrische Langweile heutiger Chartmusik ururalt erscheinen. Und so wird dessen schmissiges Recercada Segunda der Künstler Dank für den begeisterten Abschlussapplaus. – Bevor die Drei beginnen, kurze Abstimmung über das Tempo: „Schnell oder richtig schnell?“ „Ach, so schnell wie möglich!“